Kein Anspruch auf Beseitigung einer Schutzplanke an Gemeindeverbindungsstraße

BayVGH NVwZ-RR 2018, 758 = KommJur 2018, 418 = JuS 2019, 413

Leitsatz:  Der Schutz des Anliegers (Anliegerrecht) erstreckt sich nur auf einen notwendigen Zugang von der Straße zum Grundstück, d.h. auf die Zugänglichkeit zum öffentlichen Straßenraum überhaupt. Solange die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt, gewährt er keinen Anspruch auf optimale Zufahrt. Erschwernisse bei den Zufahrtsmöglichkeiten sind hinzunehmen.

Sachverhalt:
Egon Eigen verlangt von der Gemeinde Grasdorf, die Entfernung einer Leit- bzw. Schutzplanke, die sein an einer Gemeindeverbindungsstraße außerhalb einer geschlossenen Ortschaft liegendes forstwirtschaftlich genutztes (Hang-) Grundstück begrenzt. Der Zugang zu seinem Grundstück ist wegen dieser Leitplanke über ein Nachbargrundstück, nicht jedoch direkt von der Straße aus möglich.

Problemzonen und Weichenstellungen:
Das Nutzungsregime an öffentlichen Straßen beinhaltet u. a. das Anliegerrecht (Zugang, Zutritt von Licht und Luft usw.) sowie den erlaubnisfreien Anliegergebrauch als Form des „gesteigerten Gemeingebrauchs“. Grundstücke sind nur dann nutzbar, wenn sie von der Straße aus erreichbar sind. Nur so können Eigentümer oder Besitzer von Grundstücken ihre Rechte nach Art. 14 I GG tatsächlich wahrnehmen. Zusätzlich verleiht der Anliegergebrauch den Straßenanliegern die Befugnis, über den allgemeinen Verkehrsgebrauch hinaus die am Grundstück anliegende Straße „intensiver“, etwa auch wirtschaftlich zu nutzen – Beispiele: etwa durch das Anbringen von in den Straßenraum hineinragenden Werbeschildern oder Markisen, das Aufstellen von Fahrradständern, das Be- und Entladen von Fahrzeugen, das (vorübergehende) Lagern von Baumaterialien, das Aufstellen einer Leiter zum Heckenschneiden usw. – Gegenbeispiele: Zum Anliegergebrauch gehört es hingegen nicht mehr, wenn Teile des Gewerbebetriebs selbst auf die öffentliche Straße verlagert und auf der Straße abgewickelt werden (Tische und Stühle eines Restaurants oder Aufstellen von Obst- und Gemüsekisten auf dem Bürgersteig vor dem Anliegergeschäft usw. – Sondernutzung!).

Durchblick: Der Unterschied zwischen Anliegergebrauch und Anliegerrecht besteht in den unterschiedlichen Nutzungsinteressen: Während beim Anliegergebrauch die Mitnutzung eines anderen Grundstücks – der öffentlichen Straße – zur Nutzung des eigenen Grundstücks vorliegt, betreffen die Anliegerrechte die Herstellung der Zuwegung sowie den Zutritt von Licht und Luft.

Das BVerwG hat hat im Zuge der Nassauskiesungsentscheidung (Art. 14 I 2 GG!) des BVerfG[1] seine Rechtsprechung geändert und hinsichtlich von Anliegerrechten und Anliegergebrauch einen unmittelbaren Rechtsanspruch aus Art. 14 I 1 GG verneint, die Konkretisierung vielmehr dem Gesetzgeber übertragen.[2]

Der BayVGH kommt zurecht zur Erkenntnis, dass E im Rahmen seiner allgemeinen Leistungsklage kein subjektives öffentliches Recht zusteht, wonach die Gemeinde G verpflichtet ist, die Leitplanke zu entfernen. Dieses ergibt sich insbesondere nicht aus dem Anliegerrecht, da sich dieses straßenrechtliche Institut nur auf Straßen innerhalb geschlossener Ortslagen bezieht. Art. 19 I BayStrWG normiert ausdrücklich, dass Zufahrten außerhalb geschlossener Ortschaften dem straßenrechtlichen Sondernutzungsregime unterfallen. Der BayVGH stellt darüber hinaus klar, dass E selbst bei Anwendung der Figur des Anliegerrechts keine Ansprüche zukommen:

„Aber auch wenn sein Grundstück innerhalb der geschlossenen Ortschaft läge, könnte der Kl. aus dem Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs[3] offensichtlich kein Recht auf zusätzliche Zufahrt von der Gemeindeverbindungsstraße herleiten. Das VG hat zutreffend erkannt, dass dieses Rechtsinstitut die Erreichbarkeit eines innerörtlichen (Buch-) Grundstücks nicht uneingeschränkt, sondern nur in seinem Kern sichert … Der gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf deren Vorhandensein in spezifischer Weise angewiesen ist… Sein Schutz erstreckt sich nur auf den notwendigen Zugang von der Straße zum Grundstück, das heißt auf die Zugänglichkeit zum öffentlichen Straßenraum überhaupt. Solange die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt, gewährt er keinen Anspruch auf optimale Zufahrt; Einschränkungen oder Erschwernisse bei den Zufahrtsmöglichkeiten sind deshalb hinzunehmen.“ Das Vorbringen lege auch „nicht ansatzweise dar, inwiefern die Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks ohne Zufahrtsmöglichkeit über die Gemeindeverbindungsstraße in schwerwiegender Weise eingeschränkt wäre und [E]  dadurch gravierend betroffen sein könnte“.

Der BayVGH hat ebenso wie die Vorinstanz auch nicht übersehen, dass E einen Anspruch auf Beseitigung der Schutzplanke aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 I GG, Art. 118 I BV) ableiten will. Vielmehr war ein solcher Anspruch u. a. mit der Begründung zu verneinen, die Gemeinde G

„habe zwar bei anderen Grundstücken, deren Zufahrten erkennbar waren, diese erneut gewährt; eine Zufahrt des Kl. sei aber weder erkennbar gewesen noch während der Bauphase eingefordert worden.

Dieser Einschätzung ist der Kl. nicht substanziiert entgegengetreten …“.

Da nach keiner Richtung hin ernsthaft ein subjektives Recht von E besteht, aus dem sich die Verpflichtung der Gemeinde ergibt, die Leitplanke zu entfernen, fehlt der allgemeinen Leistungsklage schon die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO analog).

Ergebnis:
Die allgemeine Leistungsklage ist mangels Klagebefugnis bereits unzulässig.

 

[1] BVerfGE 58, 300 [Nassauskiesung] = NJW 82, 745 = von Mutius, JK 82, GG Art. 14 I 2/13

[2] BVerwG BayVBl. 99, 634, 635 = NVwZ 99, 1341 [Verkehrsinsel]: „Der Anliegergebrauch … vermittelt keine aus Art. 14 I 1 GG ableitbare Rechtsposition. Wie weit er gewährleistet ist, richtet sich vielmehr nach dem einschlägigen Straßenrecht, dessen Regelungsbereich das Nachbarschaftsverhältnis zwischen Straße und angrenzenden Grundstücken mit umfasst. Auch in diesem Normzusammenhang hat der Gesetzgeber in Erfüllung des ihm in Art. 14 I 2 GG erteilten Auftrages Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. … Da die Straße als öffentliche Einrichtung nicht allein der Erschließung der Anliegergrundstücke, sondern schwergewichtig auch dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen dient, muss er einen Ausgleich zwischen einer Vielzahl von Interessen schaffen … Auf die Belange der Anlieger hat er insofern in spezifischer Weise Rücksicht zu nehmen, als dieser Personenkreis in besonderem Maße auf den Gebrauch der Straße angewiesen ist. Die Zufahrt bzw. der Zugang zur Straße schafft die Grundvoraussetzungen, derer es bedarf, um an der verkehrlichen Kommunikation teilzunehmen …“ – zustimmend BayVGH BayVBl. 2007, 45-47 [Randsteine]: „Dementsprechend ist das Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs aus dem einfachen Rechts herzuleiten“: Art. 17 BayStrWG belegt die Existenz der „Rechtsstellung des Anliegers als eine Form eines gesteigerten Gemeingebrauches … Eine zentrale Vorschrift … ist … das Notwegerecht in § 917 BGB. … Eine insoweit nicht weniger bedeutsame Vorschrift findet sich in Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO …“ Art. 160 Abs. 1 BV hat als Programmsatz der bayerischen Verfassung den Sinn, „die allgemeine Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Verkehrswegen frei von privaten Rechten zu gewährleisten. Dies stärkt wiederum die Rechtsstellung des Anliegers …“.

[3] gemeint ist ‚Anliegerrecht‘