PAG-Ersatzanspruch gegen Anscheinsstörer

VG München BeckRS 2016, 55700 = Kingreen, JK 6/17, PAG Art. 70, 72

Leitsatz:  Der Anspruch des Trägers der Polizei auf Ersatz derjenigen Aufwendungen, die dadurch entstanden sind, dass er einem Entschädigungsanspruch eines Unbeteiligten/Nichtverantwortlichen ausgesetzt ist, richtet sich auch gegen den Anscheinsstörer.

Sachverhalt:
Gegen Kurt Killer wurde seit einiger Zeit wegen Körperverletzung, besonders schwerer Nötigung und Bedrohung ermittelt. Am 13.5.2014 wurden zudem Ermittlungen wegen Bedrohung und eines Verstoßes gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz gegen ihn eingeleitet. Am Vormittag dieses Tages hatte die Mutter von Gerd Gern die Polizei in der bayerischen Stadt B kontaktiert, nachdem Killer per SMS an sie gedroht hatte, ihren Sohn „kaltzumachen“. Gern gab an, dass Killer anlässlich einer Strafverhandlung im März 2014 allgemein türkischstämmige Personen bedroht habe. Zu der Schwester des türkischstämmigen Angeklagten habe er gesagt, dass er sich 20 Waffen besorgt habe. Er habe sie beide beleidigt. Killer habe ferner gesagt, dass er sich in der Schweiz für 1.800,- € eine Pistole Glock mit Munition gekauft habe und sie im Schlafzimmer seiner Lebensgefährtin verwahre. Killer habe ihm, Gern, die Waffe selbst gezeigt. Außerdem besitze Killer eine Maschinenpistole AK 47. Auf seinem Handy könne er zwei Videos vorweisen, welche den Gebrauch der Waffe zeigten. Weiter habe Killer ihm erzählt, mehrere Handgranaten aus dem Kosovo bekommen zu haben und Krieg gegen die Polizei zu machen, wenn diese zu ihm komme. Aufgrund der mit Killer gemachten Erfahrungen fühle er sich massiv bedroht. Eine weitere Zeugenaussage bestätigte, Killer habe erzählt, 20 Waffen gekauft zu haben. Außerdem habe Killer gesagt, im Kosovo einen Mann zu kennen, der jeden umbringe, wenn man ihm Geld dafür gebe.

Noch am selben Tag ordnete das zuständige Amtsgericht eine Wohnungsdurchsuchung an, die gegen 22:00 h unter gewaltsamer Öffnung der Wohnung von einem Sondereinsatzkommando vollzogen wurde. Die Durchsuchung verlief ergebnislos. Killer gab in der anschließenden Beschuldigtenvernehmung an, er habe die beiden Videos im Kosovo und nicht in Deutschland gedreht, er habe zudem niemals eine AK 47 in der Hand gehabt. Er sei mit Gern seit 2011 befreundet und habe nur im Spaß gesagt, er „mache ihn kalt“. Damit habe er gemeint, dass er ihn mit kaltem Wasser anschütte. Er habe die Mutter seines Freundes angerufen, weil er die neue Telefonnummer des Freundes nicht gehabt habe. 

Am 10.9.2014 verurteilte das zuständige Amtsgericht Killer zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. 

Für die vom Vermieter Killers in Auftrag gegebene Reparatur der aufgebrochenen Wohnungstür stellte die Handwerksfirma unter dem 9.2.2015 eine Rechnung in Höhe von 1.012,02 €. Das Polizeipräsidium erstattete hiervon nach Vornahme eines Abzuges Neu für Alt dem Vermieter einen Betrag in Höhe von 791,35 €. Mit Leistungsbescheid vom 17.7.2015 stellte das Präsidium diesen Betrag Killer in Rechnung. Hiergegen hat Killer form- und fristgerecht Klage erhoben. Mit Aussicht auf Erfolg? 

Problemzonen und Weichenstellungen:
Das Polizeipräsidium P macht einen sog. Ersatzanspruch nach Art. 89 I PAG [ex Art. 72 I] geltend. Dabei handelt es sich um den Rückgriff für diejenigen Aufwendungen, die P dadurch entstanden sind, dass es einem Entschädigungsanspruch des V nach Art. 87 I PAG [ex Art. 70 I] ausgesetzt war. Für diesen Anspruch ist nach Art. 90 II PAG [ex Art. 73 II] der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. § 40 I 2 VwGO [lesen!]).

Zulässigkeit der Klage

Die Klage von K ist als Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) gegen den als VA (Art. 35 S. 1 BayVwVfG) zu qualifizierenden Leistungsbescheid von P statthaft. Das für die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) notwendige subjektiv-öffentliche Recht folgt aus Art. 2 I GG. Die Klage ist damit zulässig.

Die Klage von K ist begründet, wenn der Leistungsbescheid rechtswidrig und K dadurch in seinen Rechten verletzt worden ist, § 113 I 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für den Leistungsbescheid ist Art. 89 I PAG [ex Art. 72 I]. Danach kann der Träger der Polizei (hier also der Freistaat Bayern als Träger der Polizei, Art. 1 II POG) von den nach Art. 7 oder 8 PAG verantwortlichen Personen Ersatz der notwendigen Aufwendungen verlangen, wenn er nach Art. 87 VI PAG [ex Art. 70 VI] eine Entschädigung geleistet hat und keinen Erstattungsanspruch nach Art. 88 PAG [ex Art. 71 I] gegen eine andere öffentlich-rechtliche Körperschaft hat. Dieser Ersatzanspruch gilt auch, wenn 

„die Polizei wie hier zugleich gefahrenabwehrend und strafverfolgend tätig geworden ist“.

Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 89 I PAG [ex Art. 72 I]

(1) Der Freistaat Bayern muss nach Art. 87 VI PAG [ex Art. 70 VI] entschädigungspflichtig gewesen sein und die Entschädigung auch tatsächlich geleistet haben, weil anderenfalls der Regressanspruch nicht entstehen kann. Der Entschädigungsanspruch des Vermieters V folgt aus Art. 87 II PAG [ex Art. 70 II] (Entschädigungsanspruch des unbeteiligten Dritten), denn V hat durch eine polizeiliche Maßnahme einen Schaden erlitten und ist dabei weder als Handlungs- oder Zustandsstörer (Art. 7, 8 PAG) noch als Nichtverantwortlicher (Art. 10 PAG) in Anspruch genommen worden.

(2) P hat keinen anderweitigen Erstattungsanspruch nach Art. 88 PAG [ex Art. 71].

(3) K muss eine nach Art. 7 oder 8 PAG verantwortliche Person sein. Es muss also von seinem Verhalten oder von einer in seinem Gewahrsam befindlichen Sache eine Gefahr ausgegangen sein. 

Das ist hier allerdings nicht der Fall, weil die Durchsuchung der Wohnung keinen Waffenfund erbracht hat. Allerdings 

„durften die handelnden Polizeibeamten aus der Sicht ex ante aufgrund der objektiven Erkenntnislage und bei verständiger Würdigung des Ermittlungsergebnisses und der vorliegenden Indizien … von einer Gefahrenlage ausgehen (sog. Anscheinsgefahr)“,

denn die massiven Drohungen des K wurden nicht nur von M angezeigt, sondern auch noch von dritter Seite bestätigt. K war daher ein Anscheinsstörer, der gefahrenabwehrrechtlich dem objektiven Störer gleichgestellt wird. Da er den Anschein der Gefahr durch eigenes schuldhaftes Verhalten zurechenbar verursacht hat, ist es gerechtfertigt, ihn auch auf der Ebene des Kostenrechts wie einen nach Art. 7 oder 8 PAG Verantwortlichen zu behandeln.

(4) Die angefallenen Aufwendungen waren auch notwendig, 

„da sie bei pflichtgemäßer und sorgsamer Würdigung der Umstände des Einzelfalls rechtlich geboten und unerlässlich erscheinen mussten“. Von K „wird nur der Betrag verlangt, der erforderlich war, um die bei dem Polizeieinsatz beschädigte Tür wieder instand zu setzen. Zudem wurde ein Abzug ‚neu für alt‘ vorgenommen“.

Ergebnis: Der Leistungsbescheid ist rechtmäßig. Die zulässige Anfechtungsklage ist daher unbegründet.